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Interview mit Dr. Maximilian Kutzner: Wenn die Sonne über der Milseburg scheint

Ausbildung, Globalisierung und Digitalisierung, Arbeit in der Region Fulda und das eigene Unternehmen

Erstellt: Samstag, 23.12.2023
Interview mit Dr. Maximilian Kutzner: Wenn die Sonne über der Milseburg scheint

Neben harten Faktoren wie einem guten Arbeitsplatzangebot und günstigem Wohnraum spricht nach Ansicht von Dr. Maximilian Kutzner auch das soziale Umfeld und der persönliche Umgang für eine Rückkehr in die Region. Foto: Marcel Blumöhr

Aufgewachsen in einer Rasdorfer Bäckerei, ist Dr. Maximilian Kutzner nach seinem Studium und seiner Promotion in seine Heimat zurückkehrt. Wie es dazu kam und was er an der Region Fulda schätzt verrät er in diesem Interview.

Sie sind in Rasdorf aufgewachsen. Wie war ihre Kindheit?
Genau. Ich bin in Rasdorf in einer kleinen Bäckerei aufgewachsen. Dort hatte ich die schönste Kindheit, die ich mir vorstellen kann. Der Duft von frischem Brot und Kuchen ist immer noch in guter Erinnerung. Ich war schon als Kind immer im Laden, da auch meine Mutter und Großeltern dort arbeiteten. Die Bäckerei meiner Eltern - mein Vater ist Bäcker- und Konditormeister - war eine richtig gute Schule. Dort habe ich gelernt, auf Menschen zuzugehen und mit anzupacken. Ein „Hallo, wie geht es Ihnen?“ gehörte zur Begrüßung der Kunden einfach für mich dazu. Und in den Sommerferien wurde mir nie langweilig, da es immer etwas zu tun gab. Bei meiner Geburt bestand die große Hoffnung, dass es einen Nachfolger für die Bäckerei geben würde. Das hatte sich in dem Moment zerschlagen, als ich nach Hünfeld zur Schule ging und als Erster in der Familie mein Abitur gemacht habe. Danach kamen dann noch das Studium und die Promotion.

Trotz des Studiums in Geschichte und Fachjournalistik - Geschichte an der Justus-Liebig-Universität Gießen und der anschließenden Promotion in Geschichte an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg waren Sie immer noch in Rasdorf engagiert. Wie kam das?
Obwohl ich nicht mehr in Rasdorf gelebt hatte, beteiligte ich mich an den Arbeiten zu dem Dorfentwicklungsprogramm meines Heimatdorfes. Eine großes Thema war dabei auch die Nutzung leerstehender Immobilien. Für dieses Thema habe ich mich schon immer interessiert. Ich brachte damals den Gedanken ein, ob mit einem Coworking-Space in Rasdorf zum einen ein Teil des Leerstands behoben werden und in die Zukunft investiert werden könnte. Das weckte die Aufmerksamkeit von Christoph Burkard, Regionalmanager und Geschäftsführer der Region Fulda GmbH. Er fragte mich, ob ich mir vorstellen könnte, die Vermittlung von Immobilien und die Organisation von Coworking-Spaces im Landkreis und der Stadt Fulda zu übernehmen. So wurde ich Ansprechpartner für die Themen New Work und Coworking im Landkreis Fulda. Zu meinen Aufgaben gehören unter anderen die Organisation und Verwaltung des Co-Karl Coworking in Fulda. Zudem stelle ich als Wirtschaftsförderer den Kontakt zwischen Käufern und Verkäufern von gewerblichen Immobilien und Gewerbeflächen in der Region her.

Beruflich beschäftigen Sie sich viel mit dem neuen Verständnis von Arbeit in Zeiten von Globalisierung und Digitalisierung. Was sind für Sie die Kernpunkte von New Work?
Meinen Erfahrungen nach sind Dynamik und Flexibilität Schlüsselbegriffe für das Konzept New Work. Flexibilität bei der Arbeitszeit aber auch der Wahl des Arbeitsplatzes - im Homeoffice oder im Büro - sind heutzutage Faktoren, an denen sich Angestellte für oder gegen einen Job entscheiden. Der klassische Nine-to-five-Job ist obsolet. Maximale Flexibilität funktioniert aber natürlich nicht in jedem Unternehmen. Eine Krankenschwester kann beispielsweise ihre Schicht nicht beliebig legen. Im Dienstleistungssektor sind die Prinzipien des New Work jedoch relativ weit verbreitet. Der zweite Punkt Dynamik beinhaltet für mich flache Hierarchien und direkte Kommunikationswege. Aber auch der Arbeitsalltag kann dynamisch sein. Je nach Lebenssituation möchte ein Angestellter seine Stelle eventuell auf eine Zwei-Drittel-Stelle verkürzen oder für ein Vierteljahr aussetzen. Das betrifft bisher eine kleine Schicht an Unternehmen und ihre Angestellten. Aber die Wirkungskraft dieser Ideen ist so groß, dass jedes Unternehmen sich damit beschäftigen muss. Mit Projekten wie Co-Karl tragen wir dieser Entwicklung Rechnung und machen die Region fit für die Herausforderungen der Zukunft.

Auch Sie machen keinen üblichen Nine-to-five-Job. Neben der Arbeit bei der Region Fulda GmbH haben Sie als Historiker auch ihr eigenes Unternehmen gegründet. Was ist die Geschichtsmanufaktur?
Geschichte studiert niemand, um zu sagen „Ich hab das studiert und habe jetzt den Job.“ Das ist anders als bei einem Maschinenbauer oder Juristen. Dafür sind die Leute, die ein Geschichtsstudium durchziehen, welche die es mit einer Leidenschaft machen. Und diese Faszination kann ich in der Geschichtsmanufaktur ausleben. Nach der Promotion stand ich vor der Frage, ob ich weiterhin wissenschaftlich arbeite, was meist kurzfristige projektbezogene Anstellungen oder Finanzierungen bedeutet, oder einen anderen Weg einschlage. Während einer Phase der Orientierung mit mehreren Praktika sprach ich mit meinem Freund Christian Lotz, der in der selben Situation war. 

"Der Anblick von Nebel, der über die Rhön zieht, ist einzigartig. Und gibt mir immer ein heimisches Gefühl."
Dr. Maximilian Kutzner
Wirtschaftsförderer und Gründer

Wir fragten uns, warum es nicht möglich sein sollte, sich als Historiker und Archäologe selbstständig zu machen. 2021 gründeten wir dann die Geschichtsmanufaktur und sind sehr erfolgreich. Wir haben bisher viele Aufträge aus Hessen und Thüringen, beispielsweise eine Ausstellung an einem Mahnmal an der innerdeutschen Grenze in Heringen - inklusive Videobeiträge und Zeitzeugengespräche, aber wir bewerben uns ab diesem Winter auch auf Projekte in ganz Deutschland. Wir haben drei Grundprodukte. Zum einen bieten wir Digitalisierung von Museumsinhalten. Dazu zählen 3-D-Modelle und Virtual-Reality-Darstellungen von Objekten. Dann sind wir klassische Dienstleister und planen Ausstellungen für Museen, Städte, Regionen und Landkreise. Wir sehen uns dabei als Vollagentur. Wir bauen zwar keine Ausstellungsobjekte, vermitteln aber Kontakte und Aufgaben, so dass eine vollwertige Ausstellung entsteht. Das dritte Standbein sind Begutachtungen im weitesten Sinne. Dabei handelt es sich meist um historische Fachgutachten - meist zur NS-Geschichte- und archäologische Fundgutachten. Bei unserer Arbeit haben wir auch stetig Kontakt mit Heimat- und Geschichtsvereinen. Das Thema Heimat, welches meiner Meinung nach sehr im Wandel ist, ist stets präsent.

Was ist für Sie Heimat?
Ich bin in Rasdorf verwurzelt. Aber Heimat ist für mich weniger ein bestimmter Ort. Vielmehr ist es die Region Fulda beziehungsweise die Rhön, die ich als meinen Heimatort bezeichnen würde. Die Verbundenheit zu der Region lässt sich schwer greifen, ist aber in besonderen Momenten erlebbar, beispielsweise wenn der Nebel über die Rhön zieht oder wenn die Sonne über der Milseburg scheint. Heimat ist außerdem dort, wo du die Menschen kennst. Das hat etwas heimeliges und geborgenes. So etwas kann es in der anonymen Großstadt nie geben.
Sie selbst sind in der Region aufgewachsen und nach dem Studium und Promotion zurückgekehrt. Was zieht die Menschen zurück in die Heimat?
Eine wichtige Rolle spielt das Angebot an Arbeitsplätzen, da haben wir in der Region ein breites Angebot. Auch bezahlbarer Wohnraum lockt viele an. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass die Mieten in Würzburg und Gießen absurd hoch sind. 

Neben diesen harten Faktoren gibt es auch viele weiche Faktoren. Dazu gehört das soziale Umfeld mit Familie und Freunden, die in die Heimat zurückkehren, und insbesondere Vereine. Ich kenne viele Freunde, die jahrelang für das Studium weg waren und nun wieder in den selben Vereinen Fußball spielen, in denen sie auch in ihrer Jugend aktiv waren. Was ich besonders schätze sind die Menschen der Region - unter anderem ihre Direktheit im Umgang. Zudem kennt man sich. Daran musste ich mich nach Jahren des Großstadtlebens gewöhnen, aber jetzt schätze ich den direkten Kontakt und dass jeder jeden kennt. Ich weiß, nicht ob ich für immer in der Region Fulda bleiben werde, kann eine Rückkehr jedoch empfehlen.

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