Die Domstadt war im 19. Jahrhundert ein kleiner Mosaikstein in diesem ganzen Flickenteppich aus Fürstentümern, Provinzen und freien Städten in deutschen Landen. In der Zeit, als zielstrebige Männer die Fuldaer Zeitung gründeten, erlebte Fulda gerade den Übergang von traditionellen Strukturen zur Moderne. Und der Katholizismus zeigte seine Zähne.
Der Kulturkampf, der ausufernde Streit von Kanzler Bismarck mit dem Vatikan um den Einfluss der Kirche im Kaiserreich, zeigte hier so richtig seine Auswirkungen. Fuldas Bischof Christoph Florentius Kött war der erste Bischof, gegen den nach den Maigesetzen von 1873 ein Strafverfahren eingeleitet wurde. Diese sahen unter anderem die staatliche Aufsicht über die Ausbildung und Anstellung von Priestern vor, doch daran mochte sich der Geistliche nicht so richtig verhalten. Er starb, bevor das Urteil erging, doch sein Nachlass wurde gepfändet. Der Bischofsstuhl blieb daraufhin mehrere Jahre unbesetzt.
1873 wurde zudem das Priesterseminar geschlossen. Seitdem wurden die Seminaristen in Würzburg ausgebildet, im Fuldaneum“, bis dortigen Fulda 1886 wiedereröffnete. Mittlerweile hat die jahrhundertealte Tradition in Fulda endgültig ein Ende gefunden: Die Ausbildung von Priestern wurde vor wenigen Jahren zentralisiert, angehende Pfarrer aus Fulda lernen jetzt in Marburg. Ein anderer Éinschnitt in der Kulturkampf-Zeit: 1875 mussten die Franziskaner den Frauenberg verlassen, erst Jahre später kehrten sie zurück. Auch das erinnert an die Gegenwart: In den vergangenen Jahren gab es immer mal wieder die Befürchtung, dass das Kloster schließen muss. Unter anderem dank der Kooperation mit antonius konnten diese aber vorerst zerstreut werden.
Während 1880 im Bistum Fulda wegen des Kulturkampfes 980 Pfarreien verwaist und 1400 Stellen vakant waren, sieht es auch heute mit der Zahl von Pfarrern und Pfarreien nicht gut aus: Bis in die 2030er Jahre sollen aus 200 Gemeinden nur noch 28 Pfarreien gebildet werden. Und die Zahl der Gläubigen? Erst kürzlich wurden neue Zahlen bekannt: 2023 traten 6000 Menschen aus der katholischen Kirche aus, aktuell leben in der Diözese noch 33800 Katholiken. Kirche hat es auch heute wieder schwer.
Einen ersten leichten wirtschaftlichen Aufschwung erfuhr Fulda, nachdem die Stadt 1866 endlich an die Eisenbahn angeschlossen wurde. Der Bahnhof entwickelte sich schnell zu einem Knotenpunkt in die Rhön, nach Nordhessen und in den Vogelsberg führten die Strecken. Heute liegt Fulda mitten in Deutschland und ist Verkehrsknotenpunkt. Und es soll weitergehen: Nach dem kürzlich gestarteten Ausbau der Strecke soll Frankfurt von Fulda aus in 39 Minuten erreichbar sein.
Damals hatten viele Fuldaer schon beim Bau der Gleise Arbeit gefunden, später standen sie in den Bahnwerkstätten in Brot und Lohn. Zwischen 1880 und 1914 verdoppelte sich die Einwohnerzahl auf mehr als 23 000. Zu den größten Firmen gehörten Mehler (1837 gegründet), die Filzfabrik (1881), die Fuldaer Stanz- und Emaillierwerke Bellinger (1867) und Eika (1824). Die Namen kennt man heute noch, sei es, ob sie heute noch florieren und sich gerade erst gegen einen Wegzug von Fulda entschieden haben, ob sie geschrumpft sind oder ob sie heute ein Einkaufszentrum beherbergen. Damals entstanden auch Geschäfte, deren Namen noch dem einen oder anderen etwas sagen: Büttner zum Beispiel, 1864 eröffnet. Oder Andreas Laberenz in Fulda, Sixtus Eztel in Hilders und Drinnenberg in Hünfeld. Zudem gab es in Fulda mehr als 100 Schank- und Gastwirtschaften.
Damals brachte die Industrialisierung Vorteile wie Nachteile: Andernorts fabrikmäßig betriebene Spinnereien und Webereien machten dem hiesigen Handwerk schwer zu schaffen, der Niedergang der Leinweberei begann. Billig produzierte Massenware aus England überschwemmte den Markt. Das Maschinenzeitalter machte viele Menschen arbeitslos, heute hoffen wir umgekehrt, dass künstliche Intelligenz Arbeitsstellen einsparen kann, weil es zu wenige Fachkräfte gibt.
Unter den verschiedenen Industriezweigen, die damals entstanden, stand die Textilindustrie an erster Stelle: Segeltuch, Filz und Plüsch wurden hergestellt. Außerdem waren die Bereiche Holz, Metall, Wachswaren, Musikinstrumente und Brauereiprodukte stark. Und heute? Der Einzelhandel ist in Fulda wie überall wegen des Internets ins Straucheln geraten. Der Mittelstand ist dennoch stark wie eh und je.
Ob das auch an der hier gemachten Politik liegt? Wer weiß, die Christdemokraten würden das wohl so unterstreichen. Seit jeher wählt Fulda schwarz. Früher erhielt Zentrumspartei seit deren Gründung 1870 die meisten Stimmen, später war es die CDU. Die Sozialdemokratie hatte nie eigentlich eine richtige Chance. August Bebel, Begründer der SPD, hatte 1874 in Fulda als Kandidat bei der Reichstagswahl ganze 12 Stimmen erhalten, im Jahr 1877 kam er immerhin auf 92. Bebel formulierte damals einen Gedanken: „Erst dann sind alle Deutschen für den sozialdemokratischen Gedanken gewonnen, wenn wir Fulda erobert haben.“ Das passierte aber bis heute nicht.
Bild oben:
Kaum wiederzuerkennen ist auf diesem Bild der Uniplatz, früher Kaiserplatz genannt.
Bild links:
Blick vom nördlichen Turm der Stadtpfarrkirche über die Dächer der Friedrichstraße bis zum Frauenberg. Die Ansichtskarte stammt aus den Jahren um 1900.
Bild rechts:
Die Tränke hinter dem Fuldaer Klosterbezirk in Richtung Fluss Fulda ist heute ein beliebtes Wohngebiet.