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Fuldaer Zeitung feiert 150 Jahre: Das „gallische Dorf“ erhalten

Die Zeitung entwickelte sich von einer katholischen zu einer unabhängigen Publikation. Verleger Michael Schmitt und Herausgeber Dr. Thomas Schmitt betonen die Bedeutung der Leserorientierung für den Erfolg

Erstellt: Freitag, 12.07.2024
Fuldaer Zeitung feiert 150 Jahre: Das „gallische Dorf“ erhalten

Verleger Michael Schmitt (links) und Herausgeber Dr. Thomas Schmitt freuen sich über das 150-jährige Jubiläum der Zeitung. Foto: Tobias Farnung

Die Fuldaer Zeitung hat Geburtstag. Vor 150 Jahren erschien sie zum ersten Mal am 1. Januar 1874. Ein seltenes Jubiläum. Anlass, den Herausgeber, Dr. Thomas Schmitt und Verleger Michael Schmitt zu Vergangenheit und Zukunft eines Mediums zu befragen, das Teil der Region Osthessen ist.

Die Fuldaer Zeitung feiert ein Jubiläum, das in unserer schnelllebigen Zeit selten ist. Sie besteht seit 150 Jahren. Wie konnte das bei einem Medium gelingen, das heute nicht gerade für ewigen Bestand steht?

Ich glaube, dass es uns gelungen ist, eine Zeitung für Leser zu machen. Es gibt Redakteure, die schreiben eigentlich mehr für ihre journalistischen Kollegen, um sich da entsprechend feiern zu lassen. Ich glaube, wir bleiben nah am Leser und bedienen die Leserinteressen, auch in der Auswahl der Themen.

Michael Schmitt: Ich kann mich dem nur anschließen. Redaktion, Verlag, Zustellung, Druckqualität - das muss alles stimmen. Und das tut es offensichtlich. Insofern gelingt es allen, die daran mitwirken, täglich ein neues Produkt zu erstellen, das die Kunden überzeugt und das sie gerne abonnieren und lesen.

Die FZ wurde bei ihrer Gründung dem „Gott der Wahrheit, Gerechtigkeit und Heiligkeit“ gewidmet. Sie sollte vor allem die Interessen der Kirche vertreten, aber auch„das Laster bekämpfen, welches sich in unserer Zeit in den Erzeugnissen einer schlechten Presse frech zur Schau trägt“. Gilt dieses Losungswort noch heute? Dr. Thomas Schmitt:

In dieser Form natürlich nicht mehr. Das ist eine Formulierung, die nur aus den Zeitumständen heraus zu erklären ist. Und zwar ganz klar als Positionierung gegen die kirchenfeindliche Politik Preußens.

Die Zeitung ist sozusagen ein Produkt des Kulturkampfes. Der Raum Fulda hatte ja an sich schon in Preußen eine Sonderstellung aufgrund seiner Religionszugehörigkeit. Die Fuldaer fühlten sich in der preußischen Politik zu wenig vertreten. Es ist eine Zeitung des Zentrums gewesen. Von den Grundsätzen der Zeitung ist natürlich aus jener Zeit noch etwas herübergekommen. Die Grundhaltung ist, dass sie Extremismus von rechts und links ablehnt und dass sie letzten Endes doch zu einem christlichen Menschenbild tendiert. Ursprünglich war es eine katholische Zeitung. Das ist sie nicht mehr. Und der Chefredakteur, Dr. Josef-Hans Sauer, hat das in der ersten Ausgabe 1951 klar formuliert.

Die Geschichte der Fuldaer Zeitung wurde immer auch beeinflusst von der Historie Deutschlands und der Region. Gab es Höhepunkte und auch dunkle Kapitel?

Michael Schmitt: Ein positives Ereignis ist die Gründung des Unternehmens 1873 und der Zeitung 1874. Der Erste Weltkrieg war natürlich eine Zäsur. Und danach kam die Hyperinflation. Die Familie Schmitt war in diversen Feldern unternehmerisch tätig und hat es geschafft, in den Jahren der Hyperinflation das Unternehmen zu erhalten. Dann kam 1933 die Machtergreifung der Nazis. Und der Überfall auf Setzerei und Druckerei. Es wurde sehr viel beschädigt, sodass die Zeitung wochenlang nicht erscheinen konnte. Als die Zerstörungen repariert waren und sie wieder erscheinen konnte, durfte sie noch nicht mal darüber berichten, warum sie nicht erschienen ist. Es war ein Überfall der SS und der SA. Die Polizei hat stillschweigend daneben gestanden und es geduldet. Dann kam 1937 die Umfirmierung von Fuldaer Aktiendruckerei in Parzeller&Co. KG, weil die Nazis nicht duldeten, dass ein anonymes Unternehmen, also eine Aktiengesellschaft, publizistisch tätig ist, weshalb das Unternehmen in eine Personengesellschaft umgewandelt wurde. Und in diese Personengesellschaft ist mein Großvater als persönlich haftender Gesellschafter eingetreten. Vierundzwanzigjährig im Jahr 1937 und kurz danach kam die Gleichschaltung und dann auch die Enteignung. Das Blatt erschien dann in einem Nazi Verlag. Bis 1945 der Zusammenbruch kam.

Wie ging es dann weiter? Michael Schmitt: 1946 hat sich mein Großvater um eine Lizenz für die Zeitung bemüht. Die Besatzungsmacht der Amerikaner, welche die Geschichte nicht detailliert kannte, sagte, das sei ein Naziblatt gewesen und lehnte ab.

Dr. Thomas Schmitt: Kleine Ergänzung, mein Vater hat persönlich eine Lizenz bekommen, 1946 schon, aber zur Herausgabe des Bonifatiusboten und des Bonifatiuskalenders, nicht für die Fuldaer Zeitung. Mein Vater hat sie bekommen, weil er in keiner Weise vorbelastet war.

Michael Schmitt: 1949 kam die Meinungsfreiheit Grundgesetz, man brauchte keine Lizenz mehr... Wer dazu technisch und wirtschaftlich in der Lage war, konnte eine Zeitung herausbringen. Mein Großvater war aber noch an einen zehn Jahre laufenden Druckvertrag gebunden. Erst 1951 konnte er dem Lizenznehmer, der bei uns drucken ließ, Heinrich Kierzek, mit der Fuldaer Volkszeitung, nachweisen, dass dieser sich vertragsbrüchig verhielt. So konnte zum 1. April dieses Jahres die Fuldaer Zeitung erneut erscheinen. Und das ist natürlich auch ein großes Ereignis in der Firmengeschichte. Innerhalb kürzester Zeit wurde die Volkszeitung überflügelt. 1974 hat sie ihren Betrieb eingestellt, weil sie offensichtlich am Publikum vorbeigeschrieben hat. In den 70er Jahren wurde der Bleisatz abgelöst. Wir waren eine der ersten in Tageszeitungen Deutschland, die im Vierfarbdruck erschienen ist. Dann kam der Umzug von der Innenstadt in die Frankfurter Straße. Ein bemerkenswertes Datum. Mein Vater ist 1969 an Bord gekommen und hat das Unternehmen bis 2004 geleitet. Ich kam 2003 an Bord und bin immer noch dabei.

Ist es eigentlich etwas Schönes, Verleger zu sein?
Michael Schmitt: Ja, das ist richtig gut, macht große Freude. Und ich empfinde es als eine Ehre und ein Privileg, dass ich das schon 20 Jahre machen darf.

Die FZ ist nicht nur eine der ältesten Tageszeitungen Deutschlands, sie ist auch als eine der letzten in Hessen unabhängig, ein gallisches Dorf, umgeben von Mächten, die es einnehmen wollen. Wie fühlen Sie sich als Asterix und Obelix? Wird die Verteidigung noch lange funktionieren?

Michael Schmitt (lacht): Wir sind zwar in Hessen von großen Verlagen umgeben, aber wir arbeiten inzwischen mit den größeren Zeitungen und Unternehmen zusammen.

Dr. Thomas Schmitt: Die wirtschaftliche Unabhängigkeit ist die Voraussetzung für publizistische Unabhängigkeit, und wir sind neben Marburg und Gelnhausen, glaube ich, die einzige noch unabhängige Zeitung in Hessen, die nicht zu einem großen Konzern gehört.

Was bedeuten Ihnen die Spendenaktionen, die seit fünf Jahrzehnten erfolgreich betrieben werden?
 Michael Schmitt:
Die Zeitung ist Anwalt der Region. Sie ist ja auch Motor, also zum Beispiel bei der FZ-Spendenaktion. Also, da möchte ich mich erst einmal bei allen Spendern bedanken, die seit fünf Jahrzehnten diese Aktion mittragen. Eine besondere Freude ist es für mich, wenn wir diese Spendenübergabe haben, dann machen wir immer eine sehr schöne Veranstaltung, wie ich finde, und wir laden Vertreter von Großspendern ein und Vertreter der Organisationen, die bedacht werden.

Dr. Thomas Schmitt: Den ehrenamtlich Engagierten in die Augen zu sehen und ihnen eine Spende überreichen zu dürfen, die ich ja nicht persönlich gegeben habe, ist ein besonderes Erlebnis. Ich habe ja nur die Plattform geschaffen, damit das Geld gesammelt werden kann. Diesen Menschen die Spende dann zu überreichen und die Dankbarkeit in deren Augen zu sehen, das lässt sich kaum mit Worten beschreiben.

Sind Sie stolz auf das Jubiläum und Ihren Beitrag dazu?

Michael Schmitt: Stolz ist ein schwieriges Wort, froh trifft es besser, ja ich bin froh darüber.

Dr. Thomas Schmitt: Das sind Entwicklungen, die haben sich einfach ergeben. Wir hatten zeitweise über 600 Mitarbeiter sozialversicherungspflichtig fest angestellt, und sind jetzt bei 450.

Wie feiern Sie das Jubiläum?

Michael Schmitt (lacht): Mit einem Interview mit Ihnen. Ich denke, jetzt ist nicht die Zeit für große Feiern. Einige Events unter dem Motto 150 Jahre Fuldaer Zeitung hat es in diesem Jahr schon gegeben, einige werden noch folgen.

Wissen Sie, wie eng die Verbindung zwischen Lesern und der Zeitung ist?
Michael Schmitt:
Ja, mit Sicherheit sehr emotional, viel stärker als bei anderen Produkten.

Was denken Sie, wie lange es noch möglich sein wird, dieses sinnliche Erlebnis einer Zeitung auf Papier zu haben.

Michael Schmitt: Die Antwort ist ganz einfach, solange es Menschen gibt, die bereit sind, dafür zu bezahlen.

Dr. Thomas Schmitt: Eine Zeitung hat ein hohes Potenzial an Emotionen. Und solange die Leser noch bereit sind, auch dieses haptische Erlebnis zu haben, indem Sie die Zeitung morgens aus dem Briefkasten nehmen und sie dann am Frühstückstisch oder bei anderer Gelegenheit in die Hand nehmen und lesen, so lange wird auch die Zeitung noch existieren. Wie lange, wird der Markt zeigen. Wir bemühen uns jedenfalls, dass es noch sehr lange dauert.

Glauben Sie an die Zukunft der Tageszeitung?

Michael Schmitt: Also ich glaube da unbedingt daran. Wir haben ja festgestellt, an der Grundvoraussetzung dafür hat sich nicht viel geändert. An der Art der Vermittlung wird sich vielleicht das ein oder andere ändern, wobei ich nicht glaube, dass die gedruckte Papierzeitung komplett verschwinden wird. Aber das Produkt Zeitung wird heutzutage nicht mehr nur definiert als gedrucktes Papier, das bis um sechs Uhr morgens spätestens in den Briefkästen zugestellt wird.

Welche Rolle wird die künstliche Intelligenz in der Zeitungsbranche spielen? Werden statt menschlicher Zusteller, deren Entlohnung von der Politik bestimmt wird, Drohnen das Blatt vor der Haustür abwerfen?

Michael Schmitt: Künstliche Intelligenz, das ist im Moment so ein Schlagwort. Wo - mit Verlaub - die nächste Sau durchs Dorf getrieben wurde. Ich habe einen sehr interessanten Vortrag gehört, bei dem der Referent sagte, „Wenn mich jemand fragt, wird künstliche Intelligenz meinen Job übernehmen, dann antworte ich: Nein, aber es wird jemand den Job übernehmen, der sich mit künstlicher Intelligenz auskennt.“ Also man muss sich damit beschäftigen. Aber man darf sich erstens nicht komplett darauf verlassen und zweitens wird die künstliche Intelligenz meiner Meinung nach nie die Intuition entwickeln, die notwendig ist, um einen Job, eine Arbeitsstelle vollständig auszufüllen.

Mit welchen Wünschen gehen Sie ins hunderteinundfünfzigste Jahr und die Folgejahre mit der Fuldaer Zeitung?

Michael Schmitt: Jetzt kommt die Antwort eines Models beim Miss Germany Wettbewerb: Weltfrieden. Zu dem wir gerne beitragen wollen durch unsere Berichterstattung. Ja, wir leben in turbulenten Zeiten. Wir haben Krieg in Europa. Und ich habe auch nicht den Eindruck, dass das örtlich oder zeitlich begrenzt bleiben wird. Also im Moment ist die Situation sehr vage. Wir haben fast 80 Jahre Friedensdividende gehabt, nach dem Zusammenbruch 1945. Das löst sich im Moment etwas auf. Und das stimmt mich sehr bedenklich. Und insofern wünsche ich mir, dass die Menschen- und da sind wir wieder bei dem christlich humanistischen Menschenbild - einfach Respekt voreinander haben, rücksichtsvoll miteinander umgehen. Die Versuche einer Konfliktlösung durch den Einsatz von Gewalt, die wir weltweit erleben, werden zu nichts führen.

Dr. Thomas Schmitt: Meine Wünsche sind etwas schlichter. Mir würde es völlig genügen, wenn die Politik uns unsere Arbeit machen ließe, als Journalisten und Publizisten und uns nicht ständig Knüppel zwischen die Beine werfen würde, sei es aus Berlin, sei es aus Brüssel. Wenn die Politik uns einfach arbeiten lässt, und unsere Arbeiten nicht ständig verteuern würde, wie zum Beispiel durch den Mindestlohn. Insofern glaube ich, das wäre auch für den Erhalt der Zeitungen sicherlich sehr hilfreich. Das bedeutet mir auch, das „gallische Dorf“ Fuldaer Zeitung zu erhalten.

Michael Schmitt: Für mich ist die Zeitung meine gesamte berufliche Existenz, die möchte ich natürlich möglichst lange erhalten. Wir sind sehr gut aufgestellt. Wir haben die richtigen Leute an Bord. Ich glaube, dass wir mit unserem Geschäftsführer, Haldun Tuncay, wirklich jemanden gewinnen konnten, der das Unternehmen gut in die Zukunft führen kann. Mit mir und mit ihm zusammen, allen Mitarbeitern im Unternehmen und unseren Lesern. Ich möchte das gerne so weiter erhalten, dieses gallische Dorf.

Zum Abschluss die Eingangssätze des Leitartikels auf Seite 1 der ersten FZ-Ausgabe: „Zunächst allen unseren Lesern ein recht herzliches: Glück zum neuen Jahre! Der Wunsch, der am ersten Tag des Jahres der Freund dem Freunde zuruft, darf heute in der ersten Nummer unseres Blattes nicht fehlen.“ Auch nicht in der aktuellen Ausgabe, denn unsere Zeitung will ihren Lesern, wie bisher, ein informativer und kritischer Freund bleiben. Es folgt in der Kolumne von 1874 ein Wort, das perfekt in unsere Gegenwart passt: „Und in der That, angesichts der gegenwärtigen Zeitverhältnisse hat man Glück und Gottes Segen wohl nöthig.“

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