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Dachdeckermeisterin Rebecca Brandenstein: Als Frau in einer Männer-Domäne

Über die Chancen im Handwerk

Erstellt: Samstag, 08.07.2023
Dachdeckermeisterin Rebecca Brandenstein: Als Frau in einer Männer-Domäne

Hat ihren Kindheitstraum verwirklicht: Dachdeckermeisterin Rebecca Brandenstein. Foto: Mirko Luis

Zwar sind Frauen in den sogenannten männertypischen Berufen noch immer unterrepräsentiert. Doch Daten des Statistischen Bundesamtes zeigen, dass immer mehr Frauen Berufe wählen, in denen Männer einst das Sagen hatten - wie etwa im Handwerk, wo die Jobchancen nicht nur wegen des Fachkräftemangels als sehr gut gelten.

Nach Angaben des Zentralverbandes Deutschen des Handwerks (ZDH) wurde 2022 bereits fast jede fünfte erfolgreiche Meisterprüfung (17,9 Prozent) von einer Frau absolviert - und sogar jeder vierte Handwerksbetrieb (24,2 Prozent) von einer Frau geführt. „Das Handwerk war auf dem Gymnasium in den Köpfen nicht so präsent. Wenn meine Freundinnen eine Lehre gemacht haben, dann sind sie eher Krankenschwester geworden“, sagt Rebecca Brandenstein. Die heute 28-Jährige machte ein „Turbo-Abitur“, gehörte sie doch zu den ersten G8-Abiturienten, die ihre Hochschulreife nach der zwölften Jahrgangsstufe in der Tasche hatte. 

Doch schon vorher war für sie klar, Dachdeckerin zu werden - so wie ihr 2020 verstorbener Großvater Erich Bug, mit dem sie Gabelstapler fuhr und auf Kirchtürmen unterwegs war. Von ihm erlernte sie, wie sich die Künzellerin erinnert, so manchen handwerklichen Kniff. Aber auch ihr Vater, Jürgen Bug, der sogar Obermeister der hiesigen Dachdecker-Innung ist, prägte die selbstbewusste junge Frau. „Ich habe schon in der Grundschule immer in alle Freundschaftsbücher geschrieben, dass ich mal Dachdeckermeisterin werden möchte“, erzählt sie. Sei ihrer Oma 2009 noch verwehrt gewesen, Dachdeckerin zu werden, wären die Vorbehalte gegenüber Frauen im Handwerk heutzutage vielerorts abgebaut. Dennoch höre man immer noch Sätze wie „Kind, lerne was Richtiges, gehe studieren“. Und hier hat die frisch gebackene Dachdeckermeisterin, die ihren Kindheitstraum mit viel Elan verwirklichen konnte, einen guten Tipp. „Junge Frauen sollten an sich glauben, sich was trauen und die gesellschaftlichen Normen beiseite legen“, sagt sie. Sie selbst habe den eingeschlagenen Weg, der sie darauf vorbereitet, eines Tages den elterlichen Betrieb zu übernehmen, keine Sekunde lang bereut. „Wobei ich schon das Gefühl hatte, mich vor den männlichen Kollegen zu beweisen und zu zeigen: „Ich als Frau bekomme das genauso gut hin wie ihr Männer.“ Eine Sonderbehandlung als Frau habe sie überdies hinaus weder gewollt noch beansprucht.

Man merkt der jungen Frau, die die Natur liebt und in ihrer knapp bemessenen Freizeit gern „Quality Time“ mit ihrem Mann und Mischlingshund Lolo verbringt (am liebsten in der Natur), die Liebe zum Beruf an. „Der Beruf ist sehr abwechslungsreich, weil es immer wieder neue Kunden gibt - jedes Projekt ist anders und stellt einen vor neue Herausforderungen. An dem einen Tag ist es ein Flachdach, am nächsten ein Steildach oder eine Lichtkuppel, die man einbauen muss“, erzählt Brandenstein, die stundenlang über Dachtypen und Baumaterialien erzählen könnte und traditionsbewusst in klassischer Zunftkleidung auf Arbeit kommt. „Hoch die Dachdecker-Kunst“, steht auf dem Gürtel. Tatsächlich träfen in ihr handwerkliche Fähigkeiten auf ästhetisches Design, sagt Brandenstein, hierauf angesprochen. „Und die Arbeitsergebnisse sind keine Momentaufnahmen wie in anderen Berufen, sondern sind beständig und sehen auch nach Jahren noch sehr gut aus. Das trage zu einer enormen beruflichen Zufriedenheit bei. 

Manchmal gebe es im Berufsalltag auch spektakuläre Momente. „Zum Beispiel dann, wenn man in steht der Hubarbeitsbühne und es hoch hinausgeht-etwa zum Austausch eines kaputten Schiefersteins in 30 Meter Höhe“, berichtet die junge Frau. Durch Aufzüge, Kräne und viele Hilfsmittel sei der Beruf zwar körperlich nicht mehr so anstrengend wie vor 50 Jahren. Dennoch seien eine gute körperliche Konstitution, eine gute Auge-Hand-Koordination beim Verarbeiten von Bedachungsmaterialien, Umsicht und Teamfähigkeit auf Baustellen elementar. Kommunikation sei nicht nur auf der Baustelle, sondern auch im Betrieb sehr wichtig, damit das, was sich Bauherren und Architekt vorgestellt haben, tatsächlich umgesetzt wird. "Hier ist der Dachdeckermeister die wichtigste Schnittstelle“, sagt die Fachfrau, die übrigens vor ihrer Meisterausbildung beziehungsweise nach ihrer Dachdecker-Lehre gemeinsam mit ihrem damaligen Freund und heutigen Mann in Marburg studiert und betriebswirtschaftliche Kenntnisse im Studium der Volkswirtschaftslehre erworben hat. Mittlerweile hat ihr Mann, der Psychologie studierte, eine eigene Musikschule.

Ihr 2020 verstorbener Großvater Erich Bug brachte ihr so manchen handwerklichen Kniff bei. Foto: Müller+Bug
Ihr 2020 verstorbener Großvater Erich Bug brachte ihr so manchen handwerklichen Kniff bei. Foto: Müller+Bug

Als Personalerin hat Rebecca Brandenstein bereits mehr Verantwortung  im elterlichen Betrieb übernommen, peu à peu arbeitet sie sich in das, was auf sie zukommt, wenn sie den elterlichen Betrieb eines Tages übernehmen wird, ein. Von älteren Meistern hört Brandenstein oft, dass das Fahrwasser früher ruhiger gewesen sei und das Führen eines Betriebes in Zukunft schwieriger werde. Ihre Leidenschaft bremst das nicht. „Denn am Ende bewahrheitet sich immer wieder: Qualität setzt sich durch.“ 
Von Mirko Luis
mirko.luis@marktkorb.de

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